Fadengeheftete Klappenbroschur, 144 Seiten, 17.6 x 13.2 cm »Selten ging ich durch die Stadt, ohne dass ich mir vorstellte, ich würde ihm begegnen. Wer weiß, ob er mich noch erkannt hätte. Ausgeschlossen war es nicht. Doch sehr wahrscheinlich hätte ich ihn nicht wiedererkannt, denn ich hatte ihn seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen.« »›Aber das ist doch pädophil‹, meint der Verleger zu Beat, dem unglücklichen Helden dieser Erzählung, der nichts anderes möchte, als das Kind zu sehen, das er eine Zeitlang großzog. Auch die Mutter des Kindes wirft ihrem Ex-Freund vor, den Jungen zu sehr zu lieben: ›Das schadet meinem Sohn.‹ Der Psychologe hingegen hält Beat schlicht für einen Feigling, der sich seiner Pflicht entziehen will. »Mit Der Zwilling unter dem Kirschbaum ist dem Autor etwas gelungen, was man in der Gegenwartsliteratur selten antrifft: eine anrührende, aufrichtige Hommage an ein Kind.«Thomas Heimgartner »In seiner Erzählung Der Zwilling unter dem Kirschbaum gibt Andreas Grosz einem Mann die Stimme, der erst nach der Geburt seines Kindes erfährt, dass er nicht sein Vater ist – und der ein paar Jahre lang diese Rolle dennoch spielt, bis die Mutter des Kindes die Nähe nicht mehr zulässt. [...] Andreas Grosz schreibt eine behutsame Sprache und findet einen anrührenden und doch nicht sentimentalen Ton für die Liebe Beats zu Lionel. Eine Zuneigung, die ins Leere läuft, die unerfüllte Sehnsucht nach Nähe und Zusammengehörigkeit geben die Grundstimmung vor. Im Hintergrund ist dies eine Geschichte darüber, wem ein Kind ›gehört‹ und wie sich das Ich durch seine Rolle in der Gesellschaft definiert.« »Diese Geschichte, die so leicht in Gefühligkeit kippen könnte, entwickelt Andreas Grosz mit deutlicher Disziplin, und so besteht er eine heikle Gratwanderung. Es entwickelt sich ein fast lautloses Drama, dessen Trauer im ruhigen Fluss der Erzählung gebändigt wird, aber gleichwohl spürbar bleibt. Über vier Textteile hinweg folgen wir der Geschichte verwickelter Beziehungen, dem Aufkeimen väterlich besorgter Gefühle, auch wenn keine wirkliche Vaterschaft vorliegt: ›In dieser Zeit kam ich nachts oftmals in diesen Park, um zu Lionels zwei Fenstern hinüberzublicken und in seiner Nähe zu sein. Wenn das rote Nachtlicht brannte, das ihm beim Einschlalen half, ihm die Furcht nahm, ihn beruhigte und bewachte, wusste ich, dass er in seinem Bettchen lag, schlief, kurz: am Leben war.‹ Doch lässt sich der Verlust dieser Beziehung zwischen einem Mann und einem Kind nicht aufhalten. In Beat lebt jahrelang eine Sehnsucht weiter. Lesend hofft man, dass sich doch noch eine günstige Wendung ergeben möge, gibt sich dieser merkwürdig vibrierenden Spannung hin, die der Erzählmodus erzeugt: Andreas Grosz führt die Ereignisse der Vergangenheit beinahe in Zeitlupentempo vor und schafft damit Raum für beklemmende Empfindungen. »Die Gechichte beginnt mit einem scheinbar einfachen, aber skandalträchtigen Konflikt, wie man ihn fast täglich in der Zeitung findet: Dem Ich-Erzähler wird vorgeworfen, pädophil zu sein, weil er ein Kind liebt. In den folgenden Rückblenden wird jedoch immer klarer, warum diese Einschätzung daneben trifft.[…] Der Protagonist hat es sich nie leicht gemacht, wie er selbst zugibt. Das offenbart sich dem Leser von den ersten Seiten an. Mit zunehmender Akribie positioniert der Erzähler seine Erinnerungen in Jahres-, Wochen- und Stundenangaben und lässt damit anklingen, dass er seine Gefühle in ein Korsett von Zahlen zwängen muss, um sie mitteilbar zu machen. Die Beklemmung, die er empfindet, drängt sich auch dem Leser auf.« »Eine berührende Geschichte über Zuneigung, verwickelte Beziehungen und Verantwortungsgefühl, die nie ins Pathetische abdriftet.«
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